Der Mann und der Hygieneartikel

Wer jetzt eine Tirade über ungewechselte Unterhosen (wie sollte ich das denn auch kontrollieren, mal im Ernst?) oder ‚die Seife, das unbekannte Wesen‘ erwartet, der wird enttäuscht. Zumindest meine Stichprobe ist voll in Zeitalter der Metrosexualität angekommen. Das fiel sogar Haircut auf, der meinte, er könne Happy Days Anwesenheit auf dem Uni Campus schon auf fünfzig Yards anhand dessen Duschgels erriechen.

Was nicht das Schlechteste ist, wenn man mich fragt. Haben wir nicht alle schon die Erfahrung gemacht, dass frau in manchen Momenten zwar wegsehen, niemals aber wegriechen kann?

Meine Jungs hingegen scheuen in Sachen Reinlichkeit keine Mühe: Sie  schleppen jedes Wochenende eine schwere Tasche Schmutzwäsche heim zu Mutti. Wir haben zwar auch eine Waschmaschine hier im Haus, die sogar ausnahmslos funktioniert, doch Haircut meinte, er brächte es einfach nicht übers Herz, die zu benützen. Seine Mutter würde es zu sehr lieben, seine Wäsche zu waschen. (Und ich schwöre beim Leben meiner eigenen Mutter, da war kein Funken Ironie in seiner Stimme.)

Auch sonst legt mann hier großen Wert auf Sauberkeit. Als ich zum Broadway (so heißt unsere Straße nunmal) ging, brachte ich aus meinem alten Haus Vorräte mit, die ich in den Wochen zuvor gekauft hatte. So auch eine noch fast volle Flasche Flüssigseife. Sowas hätte mir und meinen vorherigen weiblichen Mitbewohnerinnen ein Monat gereicht. Nach fünf Tagen Broadway war das Ding leer.
Ich wunderte mich (hatte da jemand beim Einzug auch erstmal sein Zimmer durchgeputzt, aber das frischgekaufte Scheuermittel, den Generalreiniger und Bodenputzlösung übersehen?) und kaufte einfach eine Neue. Nach einer Woche war sie wieder leer. Und so fort. Wenn ich nicht schnell genug für Nachschub sorgte, stiegen die Jungs auf Duschgel um.

Es war beruhigend zu wissen, dass mann sich hier nach dem Besuch der Toilette gründlich die Hände wusch, aber meine Neugierde befriedigte das keineswegs. Ich kaufte Großpackungen für den Krankenhausbedarf und sah sie dahin schmelzen wie Butter in der Sonne. Was zum Kuckuck machten die Jungs nur mit der Seife?

Heute weiß ich: Sie waschen sich einfach die Hände. Auf männliche Art. Kraftvoll und großzügig.
Wo mir in meiner femininen Kleingeisterei ein halb(herziger) Druck auf den Dosierhebel genügt, pumpen wahre Männer drei bis vier Mal um machtvoll und unbarmherzig gegen Bakterien vorzugehen. Das ist auch umweltfreundlich, denn es spart Wasser und überschüssige Seife kann hinterher am Handtuch abgewischt werden. (Wofür ich sehr dankbar bin, denn ohne die klebrigen Reste im Handtuch, wäre ich dem Geheimnis nie auf die Spur gekommen.) Zudem ist es dieses Vorgehen zeiteffektiv und der Mann hat zusätzliche Kapazitäten, um auf Bärenjagd zu gehen oder sein Haar zu gelen. (Lange Zeit dachte ich, Haircuts Frisur wäre das Ergebnis von zahlreichen Haarwirbeln und einem üblen Kater, bis ich erkannte, wie viel mannhafte Strapaze er investiert, um so gegen die Kräfte der Natur anzukämpfen.)

Die Wissenschaft ist manchmal grausam, und um meine unbewiesene These in einem Experiment zu überprüfen, blieb mir nichts anderes übrig, als ein STÜCK Seife auf dem Waschbeckenrand zu platzieren, wo noch vor kurzem ein männerkonformer Seifenspender stand. Wie würden meine Versuchspersonen darauf reagieren? Würden sie sich der zeitraubenden Mühsal unterziehen, dieses Stück organischer Chemie unter Hinzugabe von Wasser mit den Fingern zu reiben, bis es anfing, feucht und schaumig zu werden? Oder waren sie nur auf schnelle Befriedigung ihrer Reinigungsbedürfnisse aus?

Trauriges Ergebnis: Das Duschgel steht wieder am Beckenrand.

Ein Kommentar

Eingeordnet unter Belfast

Die Zen-Dusche

Zwischenzeitlich waren Teile der Jungs im Praktikum und ihre Zimmer wurden übernommen von einigen Erasmus-Ladys, die in Belfast ihr Lehramtspraktikum machten. In dieser Zeit war es hier sauber, aufgeräumt und das Haus duftete nach selbstgemachten Scones. Doch nun sind sie fort; zurück blieben Wehmut und mehrere Flaschen mit einem Restbestand Duschgel.

Dabei waren wir in Sachen Hygieneartikel schon vorher gut bestückt, denn Ginger hatte bei seinem Einzug, das ganze Badezimmer seines alten Hauses mitgebracht. Da niemand je etwas wegwirft, kamen wir bei meiner letzten Zählung auf fünf Hairconditioner (und ich bin die Einzige, deren Haar länger als drei Zentimeter ist), neun Haarshampoos, drei Produkte Two-in-One und ungelogene siebzehn Duschgels.

Die meisten Flaschen sind leer bis auf etwa zwei letzte Anwendungen. Aber das ist der Grund, warum ich es nicht über mich bringe, sie wegzuwerfen. Ich höre dann immer meine Oma, die mir sagt: »Kind, du hast keinen Krieg miterlebt.« Das bezog sich zwar auf echte Lebensmittel und weniger auf ‚reichhaltige Kakaobutter für den ganzen Körper‘, aber meine Hemmungen sind dieselben.

So bin ich hier nun zur Restverwerterin geworden. Auf diese Weise habe nach jeder Dusche nicht nur das wohlige Gefühl von Sauberkeit (zumindest solange ich nicht unseren Badfußboden betrete), sondern zusätzlich noch die tiefe Befriedigung, guten Gewissens etwas in den Müll werfen und damit dem ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen zuführen zu dürfen. Ein kleiner Schritt für die innere Putzfrau, doch ein großer Schritt auf dem Weg zur Zen-Meisterin.
Und wenn unsere Mülltonne nicht schon wieder eine Woche vor Leerung überquellen würde, dann wäre mein Glück wahrhaft vollkommen.

5 Kommentare

Eingeordnet unter Belfast

Er -Teil II

Seit mein Vater in Rente ist, sucht er eine Beschäftigung. Erst hat er eine Photovoltaikanlage aufs Dach gebaut, dann das Haus komplett isoliert und schließlich sämtliche Fenster erneuert, aber am Nachmittag wurde ihm langweilig.

Erfüllung fand er endlich darin, den Haushalt finanz- und einkaufstechnisch zu revolutionieren. Der Anfang war noch ein wenig holprig (so gemäß »Mein Name ist Lohse. Ich kaufe hier ein.« Gott sei Dank ohne Senflieferung), doch dann entdeckte der das Internet. Da gab es zum Beispiel Druckerpatronen für einen Bruchteil dessen, was die originale Markenware kostet.

Eine Weile ging alles gut. (Das tut es immer mit ihm. Das ist das Problem.) Er druckte fröhlich rot-grüne Weihnachtskarten. Die sind bestimmt sehr nützlich, wenn wir die Schnäppchen-Tausend-Stück-Großpackung aus dem Keller einmal aufgebraucht haben. (Die hat meine Mutter einmal so ungemein günstig erstanden. Sie ist nämlich eine Kandidatin für eine Hundert-Senfgläser-Bestellung.)

Dann kam das neue Jahr und mein Vater wollte Grüße in sonoren Blau verschicken. Das ging nicht. Wann immer der Drucker Blau drucken sollte, kam Rot auf das Papier.
Er erneuerte die blaue Patrone. Das Problem blieb. Mein Vater beschwerte sich beim Hersteller, der offensichtlich die Label verwechselt hatte, und erhielt ein neues Set blaue Patronen.
Inzwischen war Ostern. Mein Vater legte die neue Patrone ein und druckte eine Karte mit Ostereiern. In den Farben: Rot, Gelb, Grün – und Rot.

Ich war zufällig im Zimmer, als er den Versuch mit der vierten Patrone startete. Sie konnten doch unmöglich alle falsch etikettiert sein?
Aus Neugierde popelte ich mit einer aufgebogenen Büroklammer in der ausgewechselten Patrone. Die Farbe darin war blau.

Das brachte nun den Tüftler in meinem Vater auf den Plan. Irgendwas an den Kontakten musste verstopft sein. Er ließ das Fach für die blaue Patrone leer und legte in das Fach für die rote Patrone  eine blaue ein. Und obwohl nun keinerlei rote Farbe mehr im Gerät vorhanden war, drückte es weiter Seite für Seite: Rot.

Zu dem Zeitpunkt erwogen wir eine Bewerbung bei Wetten Dass. (Dann kam aber dieser Wechsel mit dem Moderator und wir entschieden uns zu warten, bis sich die Einschaltquoten stabilisiert hätten.)

PS: Es tut mir leid, wenn diese Geschichte etwas antiklimaktisch  endet, aber ich kann nur mehr berichten, dass mein Vater zuückschwenkte auf Patronen des Druckerherstellers, und seither funktioniert alles wieder in langweiliger Routine.

Einzig meine Mutter ist ein wenig nervös, was ihm wohl als nächstes einfallen könnte.

Ein Kommentar

Eingeordnet unter Belfast

ER!

Ich schlafe. Was völlig legitim ist für einen Sonntagmorgen um sieben.
Da klingelt mein Handy. Bis ich meinen Geist aus Morpheus Armen, meinen Körper aus der Flanelldecke und mein Handy aus der Handtasche gerissen habe, ist das Klingeln verstummt.
Ich höre die Nachricht ab. ER war dran:
»Hallo! Hier ist dein Vater aus München«
Das hilft mir ungeheuer, denn so kann ich ihn von meinen anderen Vätern in Moskau, Lima und Castrop-Rauxel unterscheiden.
»Ich brauche unbedingt eine spezifische Auskunft.«
Also spitze ich die Ohren. Was wohl los ist?
»Ruf mich zurück.«
Pause
»Ende der Nachricht.«
(Ja, er hat wirklich »Ende der Nachricht« gesagt. Er verbrachte vor vierzig Jahren, als er noch jung und prägsam war, die obligatorische Zeit bei der Bundeswehr. Bei seinen Telekommunikationsversuchen schlägt das heute noch durch.)
Mein Vater ist zudem ein passionierter Anhänger des geschickten Spannungsaufbaus. Wie anders wäre es zu verstehen, dass er mal wieder (!!) eine Sache besonders dringend macht, ohne zu sagen, worum es eigentlich geht?

Ich rufe sofort zurück.
Niemand hebt ab.
Nun wird mir die Sache mulmig. Vielleicht gab es ja einen Grund, warum mein Vater so wortkarg war? Vielleicht wurde er von Schweizer Terroristen gefangen genommen und konnte nicht frei sprechen? Vielleicht steckt in seiner Nachricht irgendeine geheime Botschaft, mittels der ihn die GSG 9 aus seinem Kerkerverlies mit Schimmelbefall befreien könnte? Und ich, unfähig den versteckten Sinn zu entschlüsseln, bin nun Schuld, wenn er zu Tode gefoltert wird, weil er sich heldenhaft weigert, die geheimen Baupläne des Außenmotorantriebs, den er für das Fahrrad meiner Mutter bastelt, den Feinden der Demokratie zu verraten.
Ich fahre den Computer hoch, checke meine Mails. Nichts.
Verzweifelt versuche ich es noch einmal am Telefon.
Meine Mutter hebt ab.
»Gott, Kind. Was bist du denn um die Zeit schon auf?«
(Sieben Uhr fünfzehn am Sonntagmorgen. Als wenn ich mich das nicht selber fragen würde.)
Ich berichte vom Notruf meines Vaters.
»Oh, das hat sich erledigt. Er hat seine Schimütze gefunden.«

Es stellt sich raus, dass meine Eltern ein letztes Mal in diesem Winter zum Schifahren wollten. Mein Vater konnte seine Lieblingsmütze nicht finden, erinnerte sich dann aber, dass ich im Zimmer mit den Sportklamotten vor acht Wochen geschlafen hatte. Was lag da näher, als mich anzurufen, um nach dem Verbleib der Mütze zu fragen?

PS: Das alles wäre gar nicht so schlimm. Wenn nicht meine Mutter – immer dann, wenn sie wütend auf mich ist – zu mir sagen würde: »Gott, du bist ja genau wie dein Vater.!«

6 Kommentare

Eingeordnet unter Belfast

Those were the days

Lese gerade romantisch verklärt (bin zur Zeit Strohmutter, die Hälfte der Kinder sind ausgeflogen) meine eigene Mail vom letzten Herbst:

Liebe …,

gerade sitze ich beim Frisör und freue mich, dass man hier zulande ohne Voranmeldung einen Frisörtermin bekommt, selbst für lange, zweifarbige Strähnchen. (Ob ich mich hinterher immer noch freu, oder meine Spontanität bereu, wird sich zeigen.) Jedenfalls habe ich nun Muse, den gestrigen Abend Revue passieren zu lassen.

Seit meiner Rückkehr von meiner deutschen Pause, verspreche ich meinen Jungs ein typisch bayrisches Essen. Gestern war es so weit: Jägerschnitzel mit Kartoffelknödel. (Das Pfanni-Knödel-Pulver war am Flughafen glücklicherweise nicht als Anthrax erkannt worden.)
Beim Kaufen der Zutaten fand ich einen aufblasbaren Schneemann für zwei Pfund. Happy Days als Alpha Male des Hauses blies ihn auf und stellte ihn stolz auf die Herdplatte, auf der er eben noch Milch erhitzt hatte. Statt mit dem Kochen zu beginnen, kratze ich also erstmal das festgeschmorte Plastik von der Platte.

Gelang mir nicht so ganz, weshalb von unserem Vier-Plattenherd (eine war von Anfang an kaputt) nur noch zwei kleine Platten übrig sind. Für sechs Schnitzel und zwölf Knödel. Da die unsere Pfanne (Der Vampir unter den Bratpfannen. Ich weiß nicht, wie oft dieses Dinge schon für tot erklärt habe.) sich in der Mitte so anhebt, dass sie selbst mit einer großen Platte nur noch einen vierzig prozentigen Körperkontakt hat, gab ich meinen Plan von wegen ‚scharf anbraten‘ auf und machte eine Art Geschnetzeltes-Rahm-Gulasch. Hauptsache Fleisch. (Männer halt!)

Aber am Ende waren es tatsächlich die Knödel, die am besten ankamen. Mit nichts kann man einen Iren so faszinieren, wie mit einer Kartoffelspeise, die er noch nicht kennt.

Danach war eine Runde Ping-Pong in der Uni-Sporthalle angesagt, der ich als (stumme) Cheerleaderin beiwohnte. Nachdem uns der Nachtwächter rauswarf, ging es weiter mit einem Fifa-Tournament. (Fifa ist DAS Spiel auf der Playstation.) Erst sollten demütigende Strafen für den Verlierer bestimmt werden. (Auf Facebook für mindestens eine Stunde einen Kommentar bezüglich der Überlegenheit des Gewinners stehen lassen. Oder beim Nachbarn klingeln und ihm eine detaillierte Beschreibung des entscheidenden Spielverlaufs aufzwingen. Die Strafe wäre besonders hart, da unsere Nachbarn sich schon zweimal über den Lärm aus unserem Haus beschwert haben.)

Man konnte sich nicht einigen und begann einfach mit dem Spielen. Bei Fifa werden physische Auseinandersetzungen (Fußball) simuliert und so war es naheliegend, dass mann gleichzeitig Erfahrungsberichte über Kneipenschlägereien austauschte.
In Folge war Thema in wieweit einem die eigene Kindheit auf solche männliche Initiationsriten vorbereiten kann. Dabei gab es zwei Lager. Auf der einen Seite jene, die jede ihrer Narben einem anderen Bruder zuordnen konnten, auf der anderen Seite Einzelkinder wie mich. Ob es allerdings zählt, als Vierjähriger von der großen Schwester bewusstlos geschlagen worden zu sein, konnte nicht übereinstimmend geklärt werden.

Von Ohnmacht war es nicht weit zu der Frage: Welches Lied soll auf meiner Beerdigung gespielt werden?
Beatles: ‚Let it be‘
Eagles: ‚Take it easy‘
Meatloaf: ‚Like a bat out of Hell‘
Oder doch der Klassiker ‚Always look on the bright side‘ aus der Kreuzigungsszene von Monty Python?

Die Ursache des nächsten Themenwechsels kann ich nicht mehr nachkonstruieren, aber dann ging es um Mädchen und das Essay, in dem die Jungs eruieren wollen, welche ihren Bekanntschaften nun die Heißeste von allen ist.
Da sind erstmal die exotischen Austauschstudentinnen (Erasmus-Orgasmus) zu erwähnen.
»Was wurde eigentlich aus der Spanierin?«
»Ich habe ihr eine SMS geschrieben, dass wir besser in Zukunft nur Freunde sind, und seither hat sie sich nicht mehr gemeldet. Zum Glück.«

Währenddessen schnitt ich dem Plastik-Schneemann Snowy ( Stilles Wasser: „Originelle Namen kann jeder vergeben, aber Snowy ist ein Klassiker.“) den Rücken auf und stopfte ihm mit Zeitungspapier voll, um seiner löchrigen Existenz wieder Standfestigkeit zu verleihen. Dieses Verhalten wurde von den Jungs als Indiz für meine Gefühlsarmut und Mitleidlosigkeit gewertet.

Aber zurück zur Notenvergabe für die Sexualattribute des anderen Geschlechts.
Die Derry-Girls (Bezeichnung für die Bewohnerinnen einer Haus-WG, die alle aus Derry stammen):
»Die eine ist ja so süß, aber die mag mich nicht mehr.«
»Warum?«
»Ich musste so lachen, als sie mir erzählt hat, ihr Hund ist an Hodenkrebs gestorben. Jetzt hält sie mich für unsensibel.«

Und die Dublin-Girls (Bezeichnung für die Bewohnerinnen einer Haus-WG, die die von überall, nur nicht aus Dublin stammen):
»Die lassen sich gar nicht mehr sehen.«
»Ja, schade. Könnten wir es nicht schaffen, dass die miteinander das Streiten anfangen? Dann würden sie weniger gemeinsam unternehmen und jeder von uns könnte eine von ihnen trösten.«
»Guter Plan.«
Mit solch harmonischen Gedanken lief der Abend schließlich aus. Snowy saß friedlich auf dem Sofa neben dem abgetrennten Halloween-Küken-Kopf und ich wurde von Happy Days in seiner Alpha-Funktion offiziell aller heutigen Spüldienste enthoben.

Und mein Frisörbesuch?
Am meisten liebe ich an Belfast den Humor der Leute. Jetzt ist mir auch klar, wofür sie ihn brauchen.

Deine Robin

PS: Damit meine ich weniger den Haarschnitt, als die schmerzhafte Art der Erstellung. Es kann doch unmöglich für eine Frisöse eine Überraschung sein, dass Menschen Ohren besitzen?

6 Kommentare

Eingeordnet unter Belfast

Letzte Nacht

Letzte Nacht war ich sehr müde und wollte unbedingt so viel Schlaf wie möglich erwischen. Darum bin ich mir sicher, dass ich alles nur geträumt habe. Welchen Sinn würde es schon machen, nachts um drei aufzuwachen und sich zu fragen, wo all die fremden Stimmen herkommen? Niemand würde schließlich seinen Haustürschlüssel verleihen, nur damit eine Horde Zufallsbekanntschaften bei uns auf die Toilette gehen kann.
Zudem war es dann wieder eine zeitlang völlig still im Haus. Ich musste also alles nur geträumt haben.
Ich weiß ja auch, dass manche von uns erwiesenermaßen krank im Bett liegen und andere für ein verlängertes Wochenende zu Mutti gefahren sind. Wenn also aus deren Zimmern diese typischen Schall- und Vibrationswellen (simultan!) durch das Haus stöhnen, dann muss ich mir das einbilden. Niemand hat Stereo-Sex nur um mich aus dem Schlaf zu reißen.

Es ist auch ein typisches Alptraumkonzept, wenn ich immer wieder versuche, auf die Toilette zu gehen, und sie immer wieder verschlossen vorfinde, während es dahinter gespenstisch still ist. Zurück in meinem Zimmer vernahm ich dann wieder nicht lokalisierbare Würgegeräusche, aber das war auch sicher nur Einbildung.
Und wenn ich dann also eine Frau schreien höre: »Du hast süße Eier«, dann ist das nur mein Unterbewusstsein, das meine Erinnerungen ans Ostereierverstecken (ich und Vampirette vor zwei Tagen) in meine Träume einwebt.

Überhaupt wurde mir heute Morgen gesagt, dass man es liebe, versteckte Sachen zu finden. Ob sich das auf österliche Süßwaren oder auf ein paar Strassohrringe bezog, blieb allerdings unklar. Jedoch wurden mir die Ohrringe angeboten, denn man kann sie schließlich niemanden schenken, der der ursprünglichen Besitzerin mal über den Weg laufen könnte – wer immer sie denn auch gewesen sein mag.
Kein Traum war es jedoch, dass man mir noch gestern einen Vortrag über Sex mit und ohne Alkohol gehalten hat. Unter dem Einfluss von Alkoholika könne es möglicherweise zu unüberlegten Handlungen kommen, aber Geschlechtsverkehr am Morgen danach bedeute schon tiefere Gefühle. Ergo muss es ja wohl ein Traum gewesen sein, dass ich heute Morgen von fremden Bettvibrationen aufwachte, ausgelöst von der Frau, »die wir alle seit Jahren verarschen. Mann, wie konntest du nur!«
Es war also entweder mein Traum oder Restalkohol und zählt dann nicht. Überhaupt habe ich heute Morgen erfahren, dass Beziehungen erst beginnen, wenn beide Personen die selbe Postleitzahl besitzen.

Dann schwirrt noch irgendwie in meinem Kopf die Erinnerung an ein paar schrille Frauenstimmen herum. Die räumten in manchen der Zimmer auf und quiekten jedes Mal, wenn sie ein Osterei fanden. »Wir müssen ihm eine Nachricht schreiben, dass er öfter aufräumen muss. Die legen wir zusammen mit einem rohen Ei unter seinen Matratzenbezug. Wenn er sie dort findet, vergisst er es so schnell nicht wieder.«

Diese Idee mit der Nachricht blieb in meinem Kopf hängen. Nur so ist es zu erklären, dass ich morgens um sechs Anständig (so will ich ihn mal nennen, bis auch er mir das Gegenteil beweist) vor der Badtür traf und ihm erklärte, dass irische Elfen in Stilles Wassers Zimmer wären und einen Brief für Ginger schrieben.
Ich war mir sicher, dass wenigstens diese Erinnerung ein Traum war, bis man mir erklärte, Anständig hätte wegen Autoversagens auf unserer Couch genächtigt. »Er sagt, du hast ihm lauter wirres Zeug erzählt. Frau, du solltest wirklich mit dem Alkohol kürzer treten.«

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter Belfast

Happy Birthday sagt die Müllabfuhr

Mein Geburtstag naht und Stilles Wasser machte mir eine große Freude: Er brachte den Müll raus.


Das klingt jetzt nicht so tapfer, wie es sollte. Darum muss ich ausholen. Als wir hier einzogen, war keine Mülltonne vorhanden. Die war geklaut worden. Welches ein so häufiges Vorkommnis ist, dass es dafür auf der Homepage der Stadtverwaltung eine extra Seite gibt, die sich nur mit dem Ersatz von entwendeten Mülltonnen beschäftigt. Aber das wusste ich damals noch nicht.

Ich hielt die Tonne selber für das kleinere Problem und wollte sicher gehen, dass wir überhaupt eine gültige Plakette hatten, damit die Müllabfuhr unser Zeug nicht stehen lässt – egal ob mit Tonne oder ohne. Damit wendete ich mal wieder deutsches Denken auf ein irisches Problem an und das konnte eigentlich nur schief gehen. Tatsache ist, dass die Müllabfuhr alles mitnimmt, egal, ob es nun neben oder in der Tonne lagert, solange nur der Abholtag stimmt. (Zu dem Thema gibt es auch eine Webseite, aber auf die kann man sich nicht verlassen. Man fragt am besten die Nachbarn – vorausgesetzt die reden nach dem Lärm der letzten Party noch mit einem.)

Aber das alles wusste ich noch nicht und darum lag ich unserem Landlord (auf Deutsch ‚Vermieter‘, aber das trifft die Sache nicht wirklich) wegen der Tonne in den Ohren. Er sagte, er würde sich kümmern, aber durch unglückliche Umstände kam es zu einem Lieferengpass bei Abfallbehältern, was ihm wirklich sehr leid tat. Die Jungs ließ das völlig kalt, denn irgendwann würden wir sicher eine Mülltonne haben, und bis dahin konnte ja man die Mülltüten in unserem Hinterhof stapeln.
Dabei offenbarte sich wieder die Zwanghaftigkeit meines Charakters und meine Unfähigkeit, im Hier und Jetzt zu leben. Ich rechnet mir nämlich aus, dass wir bereits jetzt doppelt so viele Müll stapelten, wie in eine Tonne passte.

Um diese Flut nicht noch mehr anwachsen zu lassen, verließ ich das Haus regelmäßig mit Plastiktüten, die ich unauffällig in die öffentlichen Abfallbehälter schmuggeln wollte. Auf die Idee müssen aber schon mehr Leute gekommen sein, weswegen die Dinger so enge Einwurfschlitze haben, dass da vielleicht eine große Colaflasche durchpasst, aber kein Sack mit Hausmüll.
Einmal, während ich quetschte und drückte, riss die Tüte. Kein schöner Anblick.

Danach gab ich auf. Wenn fünf Leute Müll produzieren, aber nur eine tröpfchenweise das Zeug los wird, besteht keine Hoffnung. Dazu kam das Problem mit der Tür.

 

 

 

 

 

Ursprünglich klemmte unsere Klotür. Wollte man die öffnen, musste man den Griff ganz runter drücken und sich mit Anlauf dagegen werfen (oder mit viel Schwung ziehen – kommt eben auf die Seite an.) Das lag an dem überstehenden Vorhängeschloss und ich hätte das vielleicht reparieren können, aber mir fehlte der Schraubenzieher. So blieb es, wie es war, und wann immer jemand das Bad verließ, schepperte es im ganzen Haus. (Was auch seine Vorteile hat, weil man immer wusste, ob es gerade frei war oder nicht.)

Dann aber schickte der Landlord jemanden vorbei, der die Fenster und Türen streichen sollte. Bei dem Zustand unseres Hauses ist das, als ob man einem Sterbendem die Zehennägel lackiert, aber er hielt das für eine gute Idee. Den Maler wollte ich bezirzen, ob er nicht vielleicht einen Schraubenzieher für mich hätte, worauf der männlich die Klotür dauerhaft entklemmte – mit einem Hammer.

Aber das Haus ließ nicht mit sich spaßen. Der Geist der klemmenden Tür, ausgetrieben aus dem Bad, fuhr nun in die Hinterhoftür. Unser Hinterhof, indem sich der Müll stapelt, führt durch eine Holztür, zum Hinter-Hinterhof der ganzen Häuserreihe. Dahin, wo der Müll abgeholt wird.

Durch den Vorgang des Streichens (ohne vorher die Altfarbe abgeschliffen zu haben) wurde die Tür nun genau so viel dicker, dass sie anfing zu klemmen. Einige Tage später stellte das Wetter auf November um und was immer man sich in Deutschland unter diesem Monat vorstellt, in Irland ist es fünfmal so nass. Ergo dehnte sich das Holz der Tür so aus, dass sie nun gar nicht mehr zu öffnen war. Zumindest nicht für meine weiblichen Muskeln.

Damit hatte sich mein Problem verdoppelt. Nicht nur hatten wir noch immer keine Tonne, wir hatten nun auch keinen Zugang zum Abholplatz mehr. (Theoretisch hätte ich natürlich besagte nicht existente Tonne auch durch das Wohnzimmer zur Vordertür hinaus, auf die Straße, dreihundert Meter die Straße hinab, um die Kurve und wieder zweihundertfünfzig Meter die hintere Straße hinauf rollen können – aber aus irgendwelchen Gründen wollte ich das nicht.)
Zu dem Zeitpunkt stapelten sich bereits zwei Monate Konsumverhalten in unserem Hinterhof, aber es ist wohl überflüssig zu erwähnen, dass ich als einzige im Haus, dieses als problematisch empfand. Man erklärte mir, dass sich schon alles geben würde, wenn wir erstmal eine Tonne hätten. Auch Sorgenvoll, normalerweise meine einzige (da deutsche) Unterstützung im Kampf gegen das Chaos, schloss sich dieser Weltsicht an. Er besorgte ganz stolz einen winzigen Tritteimer fürs Bad, während in mir immer mehr die handfeste Überzeugung wuchs, dass kein Müllcontainer dieser Welt eine Lösung ist, solange sich niemand für seine Entleerung verantwortlich fühlt.

Religiöse Überzeugungen sind naturgemäß keiner logischen Argumentation zugänglich und inzwischen glaubten vier Bewohner unseres Hauses ganz fest, dass wir einzig eine Mülltonne bräuchten, damit alles gut würde. Meine sämtlichen Versuche zwei Leute (einer von innen, einer von außen) einzuspannen, um die Hinterhoftür zu öffnen, wurden regelmäßig abgewiegelt mit dem Hinweis, das hätte keinen Sinn ohne Mülltonne.
Darum machte ich mich daran, ein solches magisches Wunderding zu besorgen. Wie gesagt, die Stadtverwaltung hat eine extra Seite dafür eingerichtet. Und der Landlord bot an, dafür im selben Umfang einmalig meine Miete zu kürzen. Die große Tonne kostete 30 Pfund. Die kleine 29 Pfund. (Kein Witz)

Lieferung war telefonisch für Donnerstag Nachmittag vereinbart. Mittwoch früh hämmert jemand gegen unsere Haustür. Ich war in keinem besonders repräsentablen Zustand und entschloss mich, die vermuteten Nachbarskinder zu ignorieren. Dann höre ich den Wagen anfahren und begreife, wer das war. In Pyjama und Badeschlappen hechte ich zwei Stockwerke runter, raus durch die Tür, die Straße hinauf und kreischend hole ich bei der nächsten Ampel den Müllwagen ein.
Selten strahlte eine Frau so glücklich wie ich, als ich mit wehendem Pyjamaoberteil eine glänzende Mülltonne als Trophäe nach Hause rollte.

Es gab den Jungs auch einen echten Motivationsschub. In der darauf folgenden Woche wurde die Tonne beinahe feierlich gefüllt und vor die Tür gestellt. Unser Hof war bereits so voll mit Tüten, dass ein Unterschied nicht zu erkennen war, doch wenigstens war ein Anfang gemacht. So dachte ich

 

 

 

Es ist nämlich Teil des männlichen Glaubensbekenntnisses, dass die Welt nur durch einzelne Großtaten zu retten ist, jedoch nicht durch wiederkehrende regelmäßige Handlungen. Es fand sich schlicht niemand, der die Tonne nach Entleerung wieder zurück ins Haus gebracht hätte. Wann immer ich jemanden bat, sich doch mal an der Hintertür zu versuchen, wurde mir mitgeteilt, dass es jetzt viel zu dunkel sei.

Und da es in Irland im Winter nur gefühlte fünf Stunden am Tag hell ist und der besagte Hinter-Hinterhof über kein elektrisches Licht verfügt, stimmte das sogar zu meist. Weswegen in den vier Monaten seit ihrer Ankunft unserer Tonne keine dreimal geleert wurde. Als Zeichen christlicher Nächstenliebe platzierte Stilles Wasser zu Weihnachten ein paar Tüten in den Hinter-Hinterhof. Das war aber just zehn Tage vor dem Abholungstermin, weswegen sich die Nachbarn beim Landlord wegen gesichteter Ratten beschwerten. Der schickte mir eine SMS, die ich – entspannt dank Glühwein – auf dem Münchner Christkindlmarkt las.
Seither haben wir unseren Müll konsequent für uns behalten und ich hab schon lange kein Wort mehr deswegen verloren.

Und nun aus heiterem Himmel verkündet Stilles Wasser mir die Leerung unseres Hofes!
Es hat kaum eine halbe Stunde gedauert, dann waren wir alles los. Ein Freund von ihm kam zu Besuch, um uns zuzusehen. Er hätte uns gerne geholfen, aber es war ihm zu ekelhaft. Deswegen stand er rauchend daneben und unterhielt uns mit Geschichten über all die widerwärtigen Dinge, die er irgendwann einmal bei irgendwelchen Wetten gezwungen war zu tun.

Für mich ist, das wie ein umgekehrtes Weihnachten. Ich sitze hier in der Bücherei und frage mich, ob zuhause schon das Christkind (respektive Müllabfuhr) da war und was es alles gebracht (abgeholt) hat.
Ist es nicht wunderbar zu wissen, dass es auch für uns Erwachsene noch immer diese magischen Momente geben kann?

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter Belfast

Kamingespräche

Wir haben keinen Kamin, aber das soll nicht heißen, dass wir hier keine anspruchsvollen Gespräche führen. Der heutige Abend kann als leuchtendes Beispiel gelten
Zuerst fingen wir mit etwas Leichtem an: Wurde die große irische Hungersnot durch infiziertes Saatgut oder kontaminierten Dünger ausgelöst? Und hätte der Zweite Weltkrieg vermieden werden können, wenn sich Wilson mit seinen vierzehn Punkten in Versailles durchgesetzt hätte?

Bis wir schließlich bei ernsteren Themen landen. Sind Magic Mushrooms nicht im Grunde unschuldig verfolgte Lebensmittel? Und wie steht der moderne Mann zur Intimrasur?

Beigesteuert wurde der Erfahrungsbericht einer fehlgelaufenen Brusthaarentwachsung im Rahmen einer Wohltätigkeitsveranstaltung.

Diese Inselstämme hier haben den tradierten Brauch, karitative Sammlungen als Vorwand zu benutzen, sich zum Affen zu machen. ‚Ich lasse mir einen Schnauzer wachsen, wenn du fünf Pfund an die Stiftung zur Hodenkrebsvorsorge spendest.‘  Oder ‚Ich springe im Superman-Kostüm im Februar in den Atlantik, wenn du Geld für Children in Need stiftest.‘

(Wobei ich ja eher finde, dass mit solchen Kindern eher die Mütter in Need sind und die Wohltätigkeit verdient hätten.)

Wir haben uns die Youtube-Dokumentation des Vorgangs angesehen (Batman war auch dabei, zögerte jedoch und musste schließlich ins Hafenbecken geschupst werden.) Ebenso wurde Stilles Wassers Bildaufnahme mit dem Titel ‚Mein Kopf nach dem Zusammenstoß mit dem Auto‘ gewürdigt.

Dabei beging ich einen großen Fehler. Ich legte Stilles Wasser in geschocktem Mitleid die Hand auf die Schulter. Den entsetzten Blick werde ich nie vergessen! Dieser Blick sagte: ‚Was berührt mich da unzüchtig und grundlos?‘ Vermutlich hatte Stilles Wasser recht. Noch vor zwei Tagen, als er beim Fifa-Spielen verlor, war ich kalt wie eine Hundeschnauze, warum sollte er mir jetzt mein aufgesetztes Mitgefühl abnehmen wegen lächerlichen zwanzig Quadratzentimern verlorener Kopfhaut nach einem One-Way-Flug über ein Autodach?

Aber zurück zu wichten Dingen: Intimrasur. Die Wachsentfernung des Brusthaars war von recht alkoholisierten Menschen vorgenommen worden, weswegen Happy Days nach eigenen Angaben am nächsten Morgen als teilkahles Streifenhörnchen erwachte. Er griff mit einem Rasierer zur Selbsthilfe. Es sei schwer gewesen, ein Ende, beziehungsweise einen geraden Abschluss zu finden, weswegen er in immer tiefere Gefilde vordrang. (Womöglich war auch ein wenig Restalkohol am Ergebnis beteiligt.)

Gekommen waren wir auf dieses Thema durch Haircuts ewige Frage: Sollte die hier nicht doch ein wenig kürzer sein? Und von einer rasierten Kugel zur nächsten war der Gedankensprung nicht weit.
Dann hopsten alle zu Bett und ich tippe in die Tasten.

Ein Kommentar

Eingeordnet unter Belfast

Strom oder kein Strom

Krame gerade in meinen alten Unterlagen und finde eine Mail-Tirade aus den frühen Tagen unseres Zusammenlebens. Damals, als ich noch nicht auf dem Pfad der Weisheit war. Damals, als ich mich noch aufregte.

Liebe …
dass der Weg zum literarischen Erfolg ein steiniger werden würde, hatte ich erwartet, doch manche Herausforderungen sind härter als ich es mir je hätte alpträumen lassen.
Gerade sitze ich mit ungewaschenen, bereits juckenden Haaren in einer öffentlichen Bibliothek und versuche mich auf das Schreiben eines Krimis zu konzentrieren. Bisher hatte ich es immer für einen Marketing-Gag gehalten, wenn ich las, das J.K.Rowling ihre ersten Seiten angeblich in Cafés schrieb, weil es bei ihr zuhause zu kalt war. Ich dachte immer, wer Geld für eine Kaffeehausrechnung hat, der hat auch welches für Strom und Heizung.
Aber heute bin ich nun bereit, meine Meinung zu ändern. Vielleicht lebte die gute Rowling ja auch mit vier Jungs in einer WG?

Seit gestern Abend war klar, dass wir ab heute morgen keinen Strom mehr haben zu würden. Seit gestern Abend um sechs wissen wir, dass wir im Minus sind und in einen örtlichen Lebensmittelladen gehen müssen, um neues Guthaben zu kaufen. (Die Stromfirma ist so menschenfreundlich, den Strom nur abzuschalten, wenn auch die Läden geöffnet sind, also ist man nachts und am Wochenende sicher.)

So betrachtet war es natürlich blöd von mir, nicht noch gestern Nacht schnell unter die Dusche zu springen und auf Vorrat meine Haare zu waschen. Da habe ich nicht mitgedacht. Stattdessen dachte ich unbelehrbares Naivchen, dass schließlich auch alle anderen Bewohner Zeug in Kühl- und Gefrierschrank haben.

Warum lerne ich nicht dazu, und höre auf von anderen zu erwarten, dass sie dazu lernen?

Der Grund, warum ich versuche mich zu weigern, immer für das Stromaufladen zuständig zu sein ist folgender: Mitbewohner 1 schuldet mir noch drei Pfund vom letzten Aufladen, Mitbewohner 2 noch fünf vom Vorletzten (beim letzten war er nicht da und musste nicht mitzahlen), Mitbewohner 3 schuldet mir noch fünf vom allerersten Aufladen. Er verschob das Bezahlen seiner Schuldigkeit so lange, bis sich niemand mehr außer mir daran erinnern konnte. Im Durchschnitt muss ich jede der vier Personen zwischen drei und fünf Mal erinnern und da sie sich weigern, für mehr als 30 Pfund aufzuladen (‚sonst verschwendet man soviel’), wiederholt sich dieser Vorgang alle zwölf bis fünfzehn Tage.

Das grundsätzliche Problem sind unterschiedliche Vorstellungen von Dringlichkeit.

Zum Beispiel wird für mich das Kaufen von neuer Seife dringlich, wenn nur noch zehn Prozent in der alten Flasche drin sind. Für meine Jungs wird es dringlich, wenn das Duschgel und das Geschirrspülmittel, das man als Ersatz benutzt hat, endgültig leer sind.

Für mich wird der Erwerb neuen Klopapiers dringlich, wenn nur noch zwei Rollen da sind. Für meine Jungs wird es erst relevant, wenn sie mit dreckigem Arsch auf dem Klo hocken und selbst die Papiertaschentücher aufgebraucht sind.

Wobei sich auch hier ein kultureller Unterschied aufzeigt. Meine irischen Jungs sind wie beschrieben. Mein deutscher Mitbewohner sieht das Problem oftmals schon kommen und will dann wirklich gerne und ausführlich darüber reden. Das Klopapier geht zur Neige, was um Gottes Willen könnte man in solch einer Situation nur tun? Welcher Termin passt, damit wir uns alle mal zusammensetzten und das diskutieren können?

Mir ist dabei noch nicht so klar, ob diese unterschiedlichen Lebensanschauungen dem unterschiedlichen Alter oder dem unterschiedlichen Geschlecht geschuldet sind. Klar ist, dass es einzig an mir liegt: Ich will zu viel. Ich will immer mindestens zwei Dinge gleichzeitig, die sich gemäß eines Naturgesetztes widersprechen:

Ich will, dass Leute bestimmte Dinge tun ABER ich will sie nicht dazu zwingen müssen. Ich will, die Schulden beglichen haben, ABER ich will nicht als penetrant wahrgenommen werden. Ich will, dass wir ausreichend Strom und Seife und Klopapier haben, ABER ich will nicht alleine die Rechnung für fünf Leute zahlen. Ich bin sogar im tiefsten Inneren so vermessen zu wollen, dass meine Jungs sich ändern, ABER ich bin nicht bereit den pädagogischen Preis in Form von ungewaschenen Haaren und verdorbenen Lebensmitteln zu zahlen. (Zumindest bis gestern, heute bin ich ja schon im Prozess innerer Reife begriffen.)

Verglichen damit sind meine Jungs die reinen Philosophen. Sie wollen höchstens maximal eine Sache, die aber dann sofort. Gestern Abend wollten sie zum Beispiel drei Stunden über Fußball reden. Sie wollten nicht fünf Minuten über Strom reden und konsequent wie sie sind, haben sie das dann auch nicht getan.

Damit waren sie ein großes Vorbild für mich, während ich mir nur töricht den Abend vermieste, indem ich still vor mich hinmurmelte: Ich werde DIESMAL nicht das Thema aufbringen. DIESMAL soll sich jemand anders drum kümmern. DIESMAL soll sich jemand anders ärgern.

Und so sitze ich nun ungeduscht mit juckenden Haaren in der Bücherei und kann stolz sein, dass sich DIESMAL ganz offensichtlich jemand anders ärgert.

Ansonsten haben mich meine Philosophen so weit erzogen, dass ich stillschweigend Klopapier, Seife und Putzmittel kaufe, ohne jemand mit meinen Problemen zu belästigen. Nur mit dem Strom haben sie mich noch nicht so weit.

Gerade bin jetzt ich in eifrigen SMS-Kontakt mit meinem deutschen Mitbewohner, der mich dringend überreden will, mich doch um den Strom zu kümmern, aber ich stelle mich auf stur. Ich bin die einzige im Haus mit Kerzen, ha-ha.

Die stammen noch vom letzten Mal.
Da kam als besonderes Feature hinzu, dass Mitbewohner 2, in dessen Zimmer sich die Stromladestation befindet, sich auf einwöchentlicher Studienreise befand. Glücklicherweise hatte er seinen Zimmerschlüssel tatsächlich Mitbewohner 4 hinterlassen, also kam er nur darauf an, sich mit ihm zu verabreden. Als ich mit dem Strom-Gutschein vom Laden zurückkam, war aber wieder niemand zuhause. Also klebte ich das Ding gut sichtbar auf Augenhöhe an die verschlossene Tür mit der Ladestation, damit der Schlüsselträger bei seiner Rückkehr sofort in Aktion treten konnte. Dann ging ich in die Bibliothek. (Hin und wieder will ich ja noch an einem Buch arbeiten, Gott alleine weiß, was mich auf diesen Gedanken gebracht hat.)

Als ich Stunden später heimkam, fand ich Mitbewohner 1 in Kälte und Dunkelheit fröhlich vor einer Kerze sitzen. Inzwischen hatte sich folgendes ereignet:

Mitbewohner 4, der entscheidende Schlüsselträger, war heimgekommen und hatte vorausschauend den Schlüssel außen in die Tür der Ladestation gesteckt, damit ich, wenn ich denn den Gutschein hätte, die Tür öffnen und den Ladevorgang vollziehen könnte. Während er dies tat, schaffte er es zu übersehen, dass der Gutschein bereits direkt vor ihm an der Tür klebte. Dann ging er zur Uni.

Das war ein Rückschlag auf dem steinigen Weg zum Strom. Jedoch befanden sich nun Gutschein und Schlüssel in einer optimalen Position für den Aufladevorgang für den Moment, indem die nächste Person das Haus betreten würde. Dies war Mitbewohner 1, zurück vom Besuch eines öffentlichen Schwimmbads um dort eine Dusche zu nehmen, weil das ja bei uns zurzeit nicht ging. (Ölheizung läuft nicht ohne Strom.)

Zurück im Haus waren seine Strombedürfnisse jedoch erfüllt (siehe oben, immer nur eine Sache auf einmal) und er beachtete Schlüssel und Gutschein nicht, sondern ging in zwanzig Zentimeter Abstand an ihnen vorbei zu seinem Zimmer und legte sich schlafen. Als er wieder aufwachte, war es draußen dunkel und so erwachte wieder ein Strombedürfnis in ihm. Doch nun war es zu dunkel im Haus, um den Gutschein zu sehen, also zog er los und holte sich Abendessen aus der Frittenbude, Kerzen aus dem Supermarkt und war stolz, das Problem so effektiv gelöst zu haben.

Ich will dich nicht weiter langweilen, aber abschließend kann ich nur sagen, dass die ganzen Warnhinweise auf Tiefkühlprodukten bezüglich Verfallsdaten, Auftauen und Wiedereinfrieren und Lebensmittelvergiftung in allgemeinen nur üble Panikmache sind. Zehn Stunden Stromausfall halten die locker aus. Ich kann also nur allen Krimischreibern nur davon abraten, Lebensmittelvergiftungen als Mordmethode einzusetzen. Das klappt in der Realität nie.
Das war zumindest das Ergebnis des Experiments vom letzten Montag. Aber heute ist ja schon eine Woche später und wir starten wieder ein Neues. Es sieht ganz so aus, als würden die zehn Stunden diesmal schlagen.

Mit elektrisch geladenen Grüßen
Deine Robin in Belfast

Ein Kommentar

Eingeordnet unter Belfast

Home in Belfast

Sechs Tage war ich fort, und als ich die Wohnungstür aufstemme (die wird nicht mehr repariert, solange ich hier bin, da bin ich mir sicher), falle ich als erstes über ein Paket mit unserer Adresse für eine Frau, von der wir noch nie gehört haben. Laut Label enthält es eine Schneekette. Gewicht und Geräusch nach zu schließen, kann kein Metall drin sein.
Bin stark in Versuchung, das Ding zu öffnen, nur um die sehen, wie ein Schneenetz aus Schnüren aussieht.

Ich gehe ins Wohnzimmer. Drei Bilder, die ich aufgehängt hatte, fehlen. Später informiert mich Haircut, dass die von selber samt Nägeln(!) von der Wand fielen. (Das Schlimme ist, dass die Nägel so miserabel sind, dass das sogar wahr sein könnte.)
Ein paar einsame Bierdosen auf dem Tisch, ein aufgeweichtes Müsli, doch sonst alles im grünen Bereich. Denke ich.

Happy Days kommt zur Tür rein, nimmt mich überschwänglich in den Arm und erzählt mir freudestrahlend, wie besinnungslos betrunken er gestern Nacht war. Er steigt auf den einzigen Stuhl, den wir haben, und tauscht die Neonröhre in der Küche aus. Die hat er nach der Party mit dem Besen von der Decke geschlagen. Jetzt erst entdecke ich die Glassplitter – großzügig verteilt auf Spüle, Herd und Arbeitsfläche.

Mein Fach im Kühlschrank ist leer, ich will einkaufen gehen. Ich frage Haircut, ob wir irgendwas bräuchten, ob irgendwas ausgegangen sei.
Er überlegt. Mülltüten vielleicht? Ich deute auf die Rolle, die auf der Arbeitsfläche liegt. Die sei doch noch halb voll. Er kuckt verwirrt. Die habe er noch nie gesehen. Ich sage nichts, denn wir benutzen sie ja auch erst seit acht Wochen.
Zwanzig Minuten später komme ich hungrig zurück vom Einkaufen, will mir eine Pizza in den Ofen schieben. Das Backpapier ist alle, dito die Alufolie. Küchenpapier würde im Notfall auch gehen, doch die Rolle ist leer. Ich versuche es mit Klopapier, bemerke dabei, dass uns auch das morgen ausgehen wird.

Während ich auf die Pizza warte, sehe ich mich in der Küche um. Zwei Mülltüten quellen über. Ich fülle sie teilweise in eine Dritte um und stelle die Tüten in den Hof. Die Mülltonne, die am Tag meiner Abreise (vor einer Woche) rausgestellt wurde, hat ihren Weg noch nicht wieder heim gefunden.

Ich will die schmutzigen Handtücher vorsorglich für den nächsten Waschgang in die Trommel legen, doch die ist voll mit gewaschener Wäsche, ohne dass sie jemand geleert hätte. Die Magnetbuchstaben am Kühlschrank sagen: Sexy was here. Eine Herdplatte ist an, Gott weiß seit wann. Das Geschirrspülmittel ist alle, das Waschmittel zu Ende, unser Besen abgebrochen (dem Zustand unseres Bodens nach vor fünf Jahren). Zum Schluss räume ich jemandes Einkäufe (Tunfisch, Milch und Brot) auf.

Stilles Wasser frägt, ob ich mich freue, wieder da zu sein.
Ich kann nicht lüge, also sage ich: Ja.

3 Kommentare

Eingeordnet unter Belfast