Happy Birthday sagt die Müllabfuhr

Mein Geburtstag naht und Stilles Wasser machte mir eine große Freude: Er brachte den Müll raus.


Das klingt jetzt nicht so tapfer, wie es sollte. Darum muss ich ausholen. Als wir hier einzogen, war keine Mülltonne vorhanden. Die war geklaut worden. Welches ein so häufiges Vorkommnis ist, dass es dafür auf der Homepage der Stadtverwaltung eine extra Seite gibt, die sich nur mit dem Ersatz von entwendeten Mülltonnen beschäftigt. Aber das wusste ich damals noch nicht.

Ich hielt die Tonne selber für das kleinere Problem und wollte sicher gehen, dass wir überhaupt eine gültige Plakette hatten, damit die Müllabfuhr unser Zeug nicht stehen lässt – egal ob mit Tonne oder ohne. Damit wendete ich mal wieder deutsches Denken auf ein irisches Problem an und das konnte eigentlich nur schief gehen. Tatsache ist, dass die Müllabfuhr alles mitnimmt, egal, ob es nun neben oder in der Tonne lagert, solange nur der Abholtag stimmt. (Zu dem Thema gibt es auch eine Webseite, aber auf die kann man sich nicht verlassen. Man fragt am besten die Nachbarn – vorausgesetzt die reden nach dem Lärm der letzten Party noch mit einem.)

Aber das alles wusste ich noch nicht und darum lag ich unserem Landlord (auf Deutsch ‚Vermieter‘, aber das trifft die Sache nicht wirklich) wegen der Tonne in den Ohren. Er sagte, er würde sich kümmern, aber durch unglückliche Umstände kam es zu einem Lieferengpass bei Abfallbehältern, was ihm wirklich sehr leid tat. Die Jungs ließ das völlig kalt, denn irgendwann würden wir sicher eine Mülltonne haben, und bis dahin konnte ja man die Mülltüten in unserem Hinterhof stapeln.
Dabei offenbarte sich wieder die Zwanghaftigkeit meines Charakters und meine Unfähigkeit, im Hier und Jetzt zu leben. Ich rechnet mir nämlich aus, dass wir bereits jetzt doppelt so viele Müll stapelten, wie in eine Tonne passte.

Um diese Flut nicht noch mehr anwachsen zu lassen, verließ ich das Haus regelmäßig mit Plastiktüten, die ich unauffällig in die öffentlichen Abfallbehälter schmuggeln wollte. Auf die Idee müssen aber schon mehr Leute gekommen sein, weswegen die Dinger so enge Einwurfschlitze haben, dass da vielleicht eine große Colaflasche durchpasst, aber kein Sack mit Hausmüll.
Einmal, während ich quetschte und drückte, riss die Tüte. Kein schöner Anblick.

Danach gab ich auf. Wenn fünf Leute Müll produzieren, aber nur eine tröpfchenweise das Zeug los wird, besteht keine Hoffnung. Dazu kam das Problem mit der Tür.

 

 

 

 

 

Ursprünglich klemmte unsere Klotür. Wollte man die öffnen, musste man den Griff ganz runter drücken und sich mit Anlauf dagegen werfen (oder mit viel Schwung ziehen – kommt eben auf die Seite an.) Das lag an dem überstehenden Vorhängeschloss und ich hätte das vielleicht reparieren können, aber mir fehlte der Schraubenzieher. So blieb es, wie es war, und wann immer jemand das Bad verließ, schepperte es im ganzen Haus. (Was auch seine Vorteile hat, weil man immer wusste, ob es gerade frei war oder nicht.)

Dann aber schickte der Landlord jemanden vorbei, der die Fenster und Türen streichen sollte. Bei dem Zustand unseres Hauses ist das, als ob man einem Sterbendem die Zehennägel lackiert, aber er hielt das für eine gute Idee. Den Maler wollte ich bezirzen, ob er nicht vielleicht einen Schraubenzieher für mich hätte, worauf der männlich die Klotür dauerhaft entklemmte – mit einem Hammer.

Aber das Haus ließ nicht mit sich spaßen. Der Geist der klemmenden Tür, ausgetrieben aus dem Bad, fuhr nun in die Hinterhoftür. Unser Hinterhof, indem sich der Müll stapelt, führt durch eine Holztür, zum Hinter-Hinterhof der ganzen Häuserreihe. Dahin, wo der Müll abgeholt wird.

Durch den Vorgang des Streichens (ohne vorher die Altfarbe abgeschliffen zu haben) wurde die Tür nun genau so viel dicker, dass sie anfing zu klemmen. Einige Tage später stellte das Wetter auf November um und was immer man sich in Deutschland unter diesem Monat vorstellt, in Irland ist es fünfmal so nass. Ergo dehnte sich das Holz der Tür so aus, dass sie nun gar nicht mehr zu öffnen war. Zumindest nicht für meine weiblichen Muskeln.

Damit hatte sich mein Problem verdoppelt. Nicht nur hatten wir noch immer keine Tonne, wir hatten nun auch keinen Zugang zum Abholplatz mehr. (Theoretisch hätte ich natürlich besagte nicht existente Tonne auch durch das Wohnzimmer zur Vordertür hinaus, auf die Straße, dreihundert Meter die Straße hinab, um die Kurve und wieder zweihundertfünfzig Meter die hintere Straße hinauf rollen können – aber aus irgendwelchen Gründen wollte ich das nicht.)
Zu dem Zeitpunkt stapelten sich bereits zwei Monate Konsumverhalten in unserem Hinterhof, aber es ist wohl überflüssig zu erwähnen, dass ich als einzige im Haus, dieses als problematisch empfand. Man erklärte mir, dass sich schon alles geben würde, wenn wir erstmal eine Tonne hätten. Auch Sorgenvoll, normalerweise meine einzige (da deutsche) Unterstützung im Kampf gegen das Chaos, schloss sich dieser Weltsicht an. Er besorgte ganz stolz einen winzigen Tritteimer fürs Bad, während in mir immer mehr die handfeste Überzeugung wuchs, dass kein Müllcontainer dieser Welt eine Lösung ist, solange sich niemand für seine Entleerung verantwortlich fühlt.

Religiöse Überzeugungen sind naturgemäß keiner logischen Argumentation zugänglich und inzwischen glaubten vier Bewohner unseres Hauses ganz fest, dass wir einzig eine Mülltonne bräuchten, damit alles gut würde. Meine sämtlichen Versuche zwei Leute (einer von innen, einer von außen) einzuspannen, um die Hinterhoftür zu öffnen, wurden regelmäßig abgewiegelt mit dem Hinweis, das hätte keinen Sinn ohne Mülltonne.
Darum machte ich mich daran, ein solches magisches Wunderding zu besorgen. Wie gesagt, die Stadtverwaltung hat eine extra Seite dafür eingerichtet. Und der Landlord bot an, dafür im selben Umfang einmalig meine Miete zu kürzen. Die große Tonne kostete 30 Pfund. Die kleine 29 Pfund. (Kein Witz)

Lieferung war telefonisch für Donnerstag Nachmittag vereinbart. Mittwoch früh hämmert jemand gegen unsere Haustür. Ich war in keinem besonders repräsentablen Zustand und entschloss mich, die vermuteten Nachbarskinder zu ignorieren. Dann höre ich den Wagen anfahren und begreife, wer das war. In Pyjama und Badeschlappen hechte ich zwei Stockwerke runter, raus durch die Tür, die Straße hinauf und kreischend hole ich bei der nächsten Ampel den Müllwagen ein.
Selten strahlte eine Frau so glücklich wie ich, als ich mit wehendem Pyjamaoberteil eine glänzende Mülltonne als Trophäe nach Hause rollte.

Es gab den Jungs auch einen echten Motivationsschub. In der darauf folgenden Woche wurde die Tonne beinahe feierlich gefüllt und vor die Tür gestellt. Unser Hof war bereits so voll mit Tüten, dass ein Unterschied nicht zu erkennen war, doch wenigstens war ein Anfang gemacht. So dachte ich

 

 

 

Es ist nämlich Teil des männlichen Glaubensbekenntnisses, dass die Welt nur durch einzelne Großtaten zu retten ist, jedoch nicht durch wiederkehrende regelmäßige Handlungen. Es fand sich schlicht niemand, der die Tonne nach Entleerung wieder zurück ins Haus gebracht hätte. Wann immer ich jemanden bat, sich doch mal an der Hintertür zu versuchen, wurde mir mitgeteilt, dass es jetzt viel zu dunkel sei.

Und da es in Irland im Winter nur gefühlte fünf Stunden am Tag hell ist und der besagte Hinter-Hinterhof über kein elektrisches Licht verfügt, stimmte das sogar zu meist. Weswegen in den vier Monaten seit ihrer Ankunft unserer Tonne keine dreimal geleert wurde. Als Zeichen christlicher Nächstenliebe platzierte Stilles Wasser zu Weihnachten ein paar Tüten in den Hinter-Hinterhof. Das war aber just zehn Tage vor dem Abholungstermin, weswegen sich die Nachbarn beim Landlord wegen gesichteter Ratten beschwerten. Der schickte mir eine SMS, die ich – entspannt dank Glühwein – auf dem Münchner Christkindlmarkt las.
Seither haben wir unseren Müll konsequent für uns behalten und ich hab schon lange kein Wort mehr deswegen verloren.

Und nun aus heiterem Himmel verkündet Stilles Wasser mir die Leerung unseres Hofes!
Es hat kaum eine halbe Stunde gedauert, dann waren wir alles los. Ein Freund von ihm kam zu Besuch, um uns zuzusehen. Er hätte uns gerne geholfen, aber es war ihm zu ekelhaft. Deswegen stand er rauchend daneben und unterhielt uns mit Geschichten über all die widerwärtigen Dinge, die er irgendwann einmal bei irgendwelchen Wetten gezwungen war zu tun.

Für mich ist, das wie ein umgekehrtes Weihnachten. Ich sitze hier in der Bücherei und frage mich, ob zuhause schon das Christkind (respektive Müllabfuhr) da war und was es alles gebracht (abgeholt) hat.
Ist es nicht wunderbar zu wissen, dass es auch für uns Erwachsene noch immer diese magischen Momente geben kann?

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter Belfast

Hinterlasse einen Kommentar